„Die Erinnerung ist ein Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“, lesen wir bei Blaise Pascal. Schön gesagt, aber das hängt sicherlich ganz wesentlich davon ab, wie paradiesisch die Erlebnisse waren, an die wir uns erinnern dürfen.
Bei Reinhard Osiander waren sie es wohl, wenn wir seinen künstlerischen Werken Vertrauen schenken dürfen. Seine Skulpturen aus Holz beschwören nicht nur Erinnerungen an seinen ländlichen Geburts- und Herkunftsort im Süden Bayerns und dessen natürliche Schönheit, sondern auch an die Spiele seiner Jugend mit Freunden dort und an die Träume und Fantasien, die er als Junge hatte, befeuert durch entsprechende Bücher und Filme.
Sein künstlerisches Werk zeigt uns einen eindrucksvollen Cowboy, der sein Lasso kunstvoll tanzen lässt. Drei Reiter, die in geheimnisvoller Mission unterwegs sind. Und unter dem viel sagenden, ein wenig aus der Zeit gefallenen Titel „Rabauken“ (2014) eine Gruppe von Jugendlichen, die dick vermummt ihre Kreise auf winterlichem Eis ziehen. Dass es sich bei der mehrteiligen Installation auch um ein Selbstporträt mit Gleichgesinnten handeln dürfte, liegt nahe. Eine gelichfalls große, aber kompakt geschlossene Installation präsentiert eine Höhle, wie sie Kinder lieben, die sich verstecken, um sich im Spiel zu finden. Und immer wieder sehen wir kunstvoll montierte, kleine Reliefs aus Holz, die mit liebevollen Landschaftsidyllen im Licht wechselnder Jahreszeiten aufwarten.
Der scheinbar naive Gestus der gegenständlichen, sehr direkt erzählenden Holzwerke Osianders darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Machart höchst kunstvoll ist. Seine Arbeiten dürfen wir mit demselben Recht Skulpturen wie Plastiken nennen, geht ihre Entstehung doch auf das Wegnehmen nicht weniger als auf das Anlegen von Material zurück. Im Grunde handelt es sich bei ihnen um dreidimensionale Collagen, die ihre spezifische Physiognomie dem komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher Form- und Farbelemente verdanken.
In ihnen setzt sich das Experimentieren und Ausprobieren des spielenden Knaben Reinhard, sein Hineinschlüpfen in unterschiedliche Rollen, Aktionen und Abenteuer, auf dem hohen Niveau eines seine Werke präzise kalkulierenden Künstlers fort. Osianders Hommagen an Bayern sind ebenso wenig naiv wie die an seine Kindheit. Der „Spitzigsee“ (2012) mit seinen Reflexionen und Spiegelungen, aber auch die „Schneelandschaft“ (2014), die „Alm“ (2012) und die „Klamm“ (2014) sind hoch ästhetische Artefakte. Die Zusammensetzung Ihrer unterschiedlichen Hölzer, gefundene wie bearbeitete, folgt einer ausgetüftelten Choreographie. Nicht anders als ihre genau aufeinander abgestimmten Farben, die nie plakativ die Hölzer besetzen, sondern in einer geschliffenen – ganz buchstäblich so – und sanft modulierten Farbpartitur.
Dass Reinhard Osiander Werke über Kindheit und Heimat nicht in der Sphäre des Persönlichen und Subjektiven bleiben, sondern Urbilder und Archetypen zeigen, die von uns wie von ihm erzählen, versteht sich dabei von selbst.