Kunstverein Kaponier, Vechta, August 2013
Reinhard Osiander zeigt in diesem Ensemble einen Hirsch, aber er sagt nicht, das sei kein Hirsch. Das braucht er auch nicht mehr, denn inzwischen, achtzig Jahre nach Magritte, weiß jeder zu unterschieden zwischen Realität und ihrem Abbild. Aber was ist der Hirsch dann ? Er ist die Skulptur eines Hirschen, und genau diese wollte Reinhard Osiander darstellen.
Reinhard Osiander ist Holzbildhauer. Das ist ein arbeitsintensiver Beruf, der viel Engagement verlangt. Der Künstler hat zwei unterschiedliche, aber sich ergänzende Ausbildungen absolviert – die „Schnitzer –Schule“, die Fachschule für Bildhauerei in Berchtesgaden und die Bremer Bildhauerschule, die Bernd Altenstein von Waldemar Otto übernommen und weiter entwickelt hat.
Wie die Berchtesgadener Schule arbeitet, haben wir hier im Norden vor kurzem erfahren, als im Austausch einige Künstler aus dem südöstlichen Zipfel Deutschlands in Oldenburg ausstellten und einige Oldenburger darauf in Berchtesgaden. Diese berichteten von der zwar traditionellen, vor allem handwerklich aber sehr gelobten Fachschule. Für manchen Künstler ist das Handwerk nach wie vor das Fundament – so auch für Reinhard Osiander. Ob die Berchtesgadener großen Einfluss auf Inhalte genommen hatten, lassen wir mal offen, die Bremer hatten einen Hang zum gemächlichen Provozieren in der Darstellung von scheinbar realistischen Situationen symbolischen Gehalts.
Reinhard Osiander kam nach Bremen und studierte bei Bernd Altenstein den Bremer Realismus. Auch der hat im Stadtbild von Oldenburg – beispielsweise auf dem Marktplatz – seine Spuren hinterlassen, an denen erkennbar wird, dass es der Schule wohl um das Menschenbild geht, nicht aber um einen Naturalismus; es geht nicht um die Wiedergabe der Realität, sondern um die Möglichkeiten der Bronze. Und entsprechend geht es für Reinhard Osiander um das Holz und die Arbeit daran; um Formen, die dem Holz abgerungen, aber auch abgewonnen werden können.
Das hier ausgestellte Werk ist dafür Beispiel. Und selbstverständlich ist, dass der Künstler sehr genau weiß, was die verschiedenen Holzsorten, Baumarten, leisten können, was ihnen abverlangt werden kann: Anders als bei der Bronze verlangen Hölzer immer eine neue Einstellung, also Offenheit und Beweglichkeit des Künstlers.
Stellen wir kurz zusammen, was wir in einem Überblick entdecken können: Neben den lebensgroßen und übergroßen Gestalten, und dazu gehören auch die kleinen Tiere, sehen wir Reliefs etwa von Kühen oder Cowboys, Kompositionen von Bildern mit plastischem Charakter, die aus Aststücken zusammengesetzt sind, ferner Figuren mit deutlicher Farbgebung und solche, wo Farben zurückhaltend auf die Oberfläche gesetzt wurde. Auf der ausliegenden Liste wird den einzelnen Skulpturen jeweils die Holz-Bezeichnung beigegeben, sodass sich jeder von der Biegsamkeit oder Härte des Materials ein Bild machen kann.
Mit anderen Worten – Reinhard Osiander hat den Ausgangspunkt, das Arbeitsprinzip, ein Motiv aus einem einzigen Stück Holz herauszuschlagen, zu schneiden oder zu schnitzen, in mehrfacher Hinsicht erweitert, ohne dabei zu Materialien zu greifen, die der Holzbildhauerei fremd sein müssten, also zB. metallische Verbindungen zu benutzen. Er hat sich bemüht, die Einheit des Materials, des Stammes, zu bewahren, kann aber auch zu Formen der Assemblage greifen, um sein Motiv zu realisieren.
Grundsätzlich folgt er nicht dem Vorbild älterer Kollegen, das Tiermotiv bis zur perfekten illusionistischen Realität zu formen. Er will diese Nähe zur romantisierten Wirklichkeit nicht, die über Kunststoff-Materialien viel schneller und leichter gewonnen werden könnten. Er will nicht darauf verzichten, die Bearbeitung des Holzes sichtbar zu machen. Der Sockel, der bei den Figuren nicht verdeckt wird, ist ein solcher Hinweis, mehr noch die zahllosen Schnitzereien, Eingriffe, Schnitte und Brüche, die der Figur inhaltlich nicht schaden, sie bleibt erkennbar, die aber stets bewusst machen, das ist eine Bildhauer-Arbeit, kein Kunststoff-Damwild.
Aber Holz ist ein lebendiger Werkstoff. Im Unterschied zur Bronze arbeitet Holz weiter, wenn es unter dem Messer des Bildhauers gelegen hatte. Es trocknet, es wird spröde, es bekommt Risse. Der Bildhauer kann das wahrnehmen, aber kaum beeinflussen; aber er kann das in seinen Motiv-Kanon integrieren. Auch diese Eingliederung in das Kunstwerk dient der Betonung „Kunstwerk“, nicht dem Realismus des Motivs.
Ein anderes Mittel ist die Farbgebung. Sie dient nirgends der Illusionierung des Inhalts, dazu ist sie zu verhalten aufgetragen. Sie mag daran erinnern, dass des Jägers Rock grün ist und das Fell des Hirschen braun, doch primär hat die Farbe ihren eigenen Sinn, im Ensemble der Skulptur bestimmte Bereiche zu betonen, anders zu werten. Und diese Wertung durch Farbe hat mit dem Inhalt kaum etwas zu tun, sondern charakterisiert gerade die Eigenart und Eigenständigkeit des Kunstwerks.
Diese Des-Illusionierung ist auch in einem ganzen Ensemble zu sehen, wenn der Künstler für den Hintergrund ein ganz deutlich als Bild geschnittenes Rahmenrelief aufrichtet, aus dem die Tiersammler scheinbar herauslaufen (oben) oder wenn er einen Baumstamm errichtet, wo Blätter und Äste nur summarisch und fast in Reih und Glied angeführt werden.
Der Betonung – das ist Holz – dienen schließlich auch die scheinbar unbearbeiteten Holzblöcke, die auseinander gebrochen erschienen und mit ihren zahllosen Spitzen fast schon – und hier versagen die beiden Begriffe Silhouette und Skyline – die ferne Räumlichkeit einer Stadt-Aufsicht oder das Innere einer Skalakmiten-Höhle assoziieren.
Die Leidenschaft, mit der Reinhard Osiander dem Holz zu Leibe geht, ist eine Sache und durchaus faszinierend; doch finden wir solche Unmittelbarkeit künstlerischer Arbeit am Holz auch bei Kollegen. Es gibt etwas anderes, was die Arbeiten von Reinhard Osiander spannend und besonders macht, das ist ihre Thematik. Förster, Hirsch, Hasen, Wald, Kühe und Cowboys waren nahezu vollständig seit fast hundert Jahren aus der Kunstgeschichte verschwunden, wenn man einmal von Heimat- und Hobbymalern absieht. In den siebziger Jahren veranstaltete der Bergkamener Bilderbasar – ein Wochenende, in dem die Bergarbeiterstadt Bergkamen mit moderner, d.h. damals aktueller, sogar avantgardistischer Kunst konfrontiert wurde – sogar eine Tauschaktion, bei der die Einwohner ihre „Röhrenden Hirsche“ aus dem Schlafzimmer eintauschen konnten gegen moderne Bilder zeitgenössischer Künstler, d.h. allgemein: das Wild- und Förster-Thema hatte ein Geschmäckle.
Seit 2000 beobachten wir einen Wandel. Negativ besetzte Themen finden wieder Aufmerksamkeit, sie reizen Künstlerinnen und Künstler, sich damit zu beschäftigen, sie zwingen zur Auseinandersetzung, sie provozieren. Das geht einher mit der Facebook- Enthemmung, mit der Liquidierung aller gesellschaftlichen Tabus, abgesehen von solchen der politischen Correctness.
Mit anderen Worten, das Werk von Reinhard Osiander ist, ob gewollt oder unbewusst, ein Beispiel, wie ein nach den Worpswedern und ihrer Zeit tabuisiertes Thema wieder aufgegriffen und gesellschaftsfähig gemacht werden kann. Dazu gehört, dass Reinhard Osiander eben nicht den realistischen oder naturalistischen Weg gewählt hat, sondern die Spuren seiner Arbeit am Holz als Teil des Kunstwerks sichtbar stehen lässt, anders als etwa John d’Andreas Aktfiguren, die Germanys Next Top Models nicht nachstehen, sie vielmehr vorwegnehmen, weil sie das Ideal zeigen.
Dass wir es hier mit einem Trend zu tun haben, zeigt die diesjährige Biennale in Venedig, wo unter dem Stichwort „Außenseiter“ (Outsider-Art) alle diese ähnlichen Motive und Darstellungsweisen ausgestellt werden, von denen sich der Mainstream der Kunstkritiker der siebziger und achtziger Jahre mit Schaudern abgewandt hatte.
Reinhard Osiander trägt also inhaltlich dazu bei, Themenfelder wieder gesellschaftsfähig zu machen, die zwei, drei Generationen lang verschüttet waren.
Und mehr noch, er entwickelt viele seiner Motive ganz dialektisch aus gegensätzlichen, sich im Grunde widersprechenden Elementen. Dass Künstler das Meer und die Wellen mit Farben gemalt haben, ist normal, die Farben waren flüssig. Reinhard Osiander aber nimmt runde Aststücke, um Wellen darzustellen, also feste Körper für eine fließende Bewegung. Wenn man auf diese Bildreliefs schaut, muss es im Kopf erst einmal knacken, muß ein Hebel umgelegt werden, um zu erkennen, das Feste ist das Flüssige. Vielleicht ist dieser Umschalt-Prozess das Eigentliche, das dieser Künstler provoziert: Denn im Grunde ist auch bei den Motiven von Tier und Mensch dieser Vorgang zu beobachten – Das Feste – Holz – ist das Weiche, ist der Körper, aber es bleibt immer im Kopf, wir haben es hier mit Holz zu tun, nicht mit einer neuen Romantik, nicht mit realen Tieren und ihren Sammlern, nicht mit Hirsch und Hase, sondern mit Holz, das sich formen lässt.