Dr. Walter Lokau: Osianders schöne Bildwelt Volkskunst mit doppeltem Boden, im Buch "Schöne Dinge...unterwegs", Band 3, 2019

Dr. Walter Lokau: Osianders schöne Bildwelt,
Volkskunst mit doppeltem Boden, im Buch “Schöne Dinge…unterwegs”, Band 3, 2019

Fast wäre er Keramiker geworden, der Holzbildhauer Reinhard Osiander. Heute ist er dem Schicksal dankbar für den gebrochenen Finger, der ihn hinderte, zur anderntags anberaumten Aufnahmeprüfung in der Keramikschule anzutreten. So entschied denn die parallel eingereichte Bewerbung an der Fachschule für Holzschnitzerei in Berchtesgaden über den weiteren Weg, dem der nicht nur vom Namen her barocke Bayer, geboren 1967 in Bobigen unweit Augsburgs, mit Freuden folgte: Der ungestalt nachgiebige Ton war ihm sowieso zu weich; hoch achtet er den gewachsenen Widerstand des Holzes, den er in seinen Arbeiten auch gar nie durch Perfektion zu überwinden sucht. Ob freistehende Figur, räumliches Arrangement oder hängendes Bildrelief und der mitunter kräftigen Acryl-Farbigkeit zum Trotz: Nirgends werden das eigenwillige Naturmaterial und die grobgeschnitzte Machart verhehlt. Sinntäuschender Naturalismus ist des stets figürlich Arbeitenden Sache nicht: Der gewandete Jäger im Walde, der lassoschwingende Cowboy, die Bilderbuch-Familie, der Drachentöter Georg, das Schaf, die Kuh, das Schwein, Hund wie Katz‘ und Vogelwelt, ja noch der talwärts stürzende Bach im Bergpanorama, der tretbootbetupfte Ausflugssee, die schlangenlinige Skipiste – alle bleiben sie im wörtlichsten Sinne unillusionistisch hölzern. Was freilich des Bildhauers Motiv-Stereotypen, die er alten Fotos und Postkarten, der volkstümlich-religiösen Kunst oder Kinderspielzeug entlehnt, keineswegs eindeutig oder bloß naiv macht: Osianders schöne Bildwelt besteht aus Zitaten reproduzierter Bilder.

Wie nicht wenige Absolventen der Berchtesgadener Schnitzschule zog es den jungen Holzschneider in die Kunst. Die Hochschule für Künste in Bremen ward dem Bilderseligen Studienort, die Hansestadt selbst Heimat. Aus der Akademie rührt das Reflektierte seiner Arbeiten, die er in Ausstellungen wie auf Märkten, vornehmlich in Bayern und am liebsten – aus familiären Gründen – um Augsburg zeigt. Dabei kennt der Bildende Künstler Berührungsängste mit dem Marktwesen nicht, im Gegenteil. Der Einsamkeit im Atelier zu entgehen ist das Arbeiten unter Kollegen auf Bildhauer-Symposien ihm so wichtig geworden wie der direkte Kontakt mit Kunden und Interessenten, auf deren Wünsche und Aufträge – Portraits oder Erinnerungsbilder – er gerne eingeht: Besonders auf Märkten wird anders, unverblümter gesprochen als auf Kunstausstellungen. Seit 2006 wächst alljährlich um ein weiteres Motiv die beliebte Menagerie an kleinen, geschnitzten und farbig gefaßten Tieren: Spielzeugskulpturen oder Skulpturenspielzeug? War es erst nur ein einsames Schaf, das, entnommen einer Weihnachtskrippe, die er seiner Mutter schnitzend zusammenstellte, in der Familie mehrfach gewünscht wurde, ist der Katalog inzwischen auf fast 20 typische Wesen aus Hof und Wald erweitert. Daß er nun oft für die Naturnähe seiner Kleintiere gelobt, ja ihm ein Leben mitsamt den ganzen Viechern unterstellt wird, nimmt Reinhard Osiander mit Schmunzeln: Ein jeder sehe halt, was er sehe. Auch wenn nur Bild zu Holz und Holz zum Bild wird.

Dr. Walter Lokau, Bremen